Franken: Weinregion zwischen Tradition und Innovation

Silvaner gehört ebenso zu Franken wie der Bocksbeutel. Aber Deutschlands sechstgrößtes Anbaugebiet hat dann doch noch mehr zu bieten. Und zwar nicht zu knapp. Wir beweisen es!
Machen wir uns nichts vor: Im direkten Vergleich mit den anderen deutschen Weinanbaugebieten steht Franken in der Beliebtheitsskala nicht eben an der Spitze. Die Region kann so viel strampeln wie sie will: das Image ist schon etwas altbacken. Jedenfalls oberflächlich betrachtet. Schuld daran ist wahrlich nicht nur der allseits bekannte (und oft belächelte) Bocksbeutel. Auch die beschaulichen Mittelalterkulissen mit ihren Mauern und Wehrtürmen und Fachwerkhäusern entlang des Mains tragen dazu bei. Aber dieses trutschig-romantische Bild wird Franken wahrlich nicht gerecht.
Nicht nur, weil Deutschlands sechstgrößte Weinregion auf eine äußerst glorreiche Historie zurückblicken kann, sondern weil sich heute viel Spannendes im Frankenland tut. Bevor wir uns aber genau dieser Gegenwart zuwenden, machen wir erst einmal eine Reise in die Vergangenheit und schauen uns an, wie es zu dem tragischen Niedergang kommen konnte. Denn dadurch wird das Hier und Jetzt danach noch viel beeindruckender. Los geht’s!

Franken: Von der Trias bis zu Karl dem Großen
Streng genommen begann die Geschichte des Weinbaus in Franken lange, bevor es dort Menschen gab. Nämlich im Urzeitalter der Trias. Vor 250 Millionen Jahren zogen sich die Urmeere zurück, die Landmassen formten sich ebenso wie der Main. Da war mächtig viel in Bewegung. Vor allem unter der Erde, wo so durch hohen Druck und Verwerfungen Muschelkalk, Buntsandstein und Keuper gebildet wurden. Also genau die drei Bodenarten, die das Terroir Frankens prägen - und die in dieser dichten Nachbarschaft zueinander weltweit einzigartig sind.
Franken wächst und gedeiht
Karl der Große unterstützte Winzer, wo er nur konnte. Ob nun bei der Vergrößerung der Rebflächen oder dabei, neue Keltertechniken zu entwickeln. Der Frankenkaiser war ein echter Weinnarr. Schnell machten sich die Gewächse aus Franken weit über die Landesgrenzen hinaus einen Namen. Selbst nach dem Tod des großen Mentors wuchs das Renommee stetig. Vorangetrieben von Adel und Klerus. Davon zeugen heute zum Beispiel noch der riesige Weinkeller der mittelalterlichen Festung Marienberg, die über Würzburg wacht. Und mit der Staatlichen Hofkellerei, dem Juliusspital und dem Bürgerspital zum Heiligen Geist sind in eben dieser Stadt nicht nur drei der vier größten Weingüter Deutschlands beheimatet. Denn die drei Betriebe zeugen von der Vergangenheit, sind sie doch nach wie vor in staatlicher oder kirchlicher Hand.Die wirtschaftliche Relevanz des Weins war enorm. Da blieben zwangsläufig die Betrüger nicht aus, die davon profitieren wollten und den Frankenwein mit Wasser streckten. Das wiederum hatte zur Folge, dass man 1482 in Kitzingen eine "Ordnung zur Reinheit des Weins" verabschiedete. Auf deren Grundlage entstand zehn Jahre später dann übrigens das erste deutsche Lebensmittelgesetz.

Heute begrenzt die Rhön im Norden, der Steigerwald im Osten, das Taubertal im Süden und der Spessart im Westen Franken. Im Mittelalter gehörten aber auch die Oberpfalz, das Gebiet rund um die Donau sowie das Altmühltal mit zum Bereich. Mal ganz davon abgesehen, dass auch das komplette Oberfranken unter Reben stand. Das machte die Region damals zum größten zusammenhängenden Weingebiet Europas. Bis zum Spätmittelalter entstanden so sage und schreibe 40.000 Hektar Rebfläche. Nur mal zum Vergleich: heute sind es 6.100 Hektar. Das ist schon ein gewaltiger Unterschied! Wie kam es zu diesem Schrumpf-Phänomen?
Franken und der Bocksbeutel
Eigentlich brachte das 17. Jahrhundert viel Gutes nach Franken. Nämlich im Jahr 1659. Am 5. April 1659 wurde zum Beispiel der bis heute legendäre Bocksbeutel eingeführt. Diese spezielle Flaschenform sollte auf den ersten Blick klar machen, dass Qualität in ihr steckt. Es war der erste geniale Marketing-Trick in der Geschichte des deutschen Weinbaus! Auch wenn dem Bocksbeutel später noch eine weitere Funktion zukam. Denn am 10. April 1659 - also nur fünf Tage später - wurden die ersten Silvaner-Reben in einem Castell-Weingarten in Würzburg gepflanzt. Es war der Beginn einer Erfolgsgeschichte. Silvaner breitete sich schnell im ganzen Land als Lieblingsrebe aus. Um sich von den Gewächsen anderer Gebiete zu unterscheiden, füllte man Franken-Silvaner deswegen ausschließlich im Bocksbeutel ab. Noch so ein Marketing-Highlight!
Nur leider nützte das nichts! Bereits vor der Bocksbeutel-Einführung machte der Dreißigjährige Krieg den Weinbauern das Leben schwer. Die darauf folgende Kleine Eiszeit brachte die Weinwirtschaft fast zum Erliegen. Im 18. Jahrhundert kam es dann zwar nochmal dank der Würzburger Fürstbischöfe zu einer kleinen Blüte, aber die Rebfläche betrug damals gerade noch 16.000 Hektar. Als es im Jahr 1803 zur Säkularisierung kam, verloren die Kirchen und Klöster fast ihre gesamte Bedeutung für den Weinbau. Ergebnis: die Rebfläche schrumpfte auf insgesamt 10.000 Hektar. Noch schlimmer wurde es dann von Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts! Erst kam die Reblaus, dann zwei Weltkriege. Zwischendrin lockte die Industrialisierung die Weinbauern vom Feld in die Industriehallen. 1950 standen gerade einmal 2.485 Hektar unter Reben!
Von Neuanfängen und Böden
Keine Bange, das war dann auch tatsächlich der Tiefpunkt des fränkischen Weinbaus. Denn was dann geschah, kann man nur einen meisterlichen Kampf zurück ins Weinleben nennen. Anfang der 1950er-Jahre griff die bayerische Regierung dem fränkischen Weinbau mächtig unter die Arme. Genossenschaften erhielten staatliche Unterstützung, die inzwischen recht zersplitterten Rebflächen wurden zusammengefasst und neu geordnet. Und dann gründete man auch noch die Bayerische Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau in Veitshöchheim. Alles zusammen ließ den Weinbau in Franken wieder aufleben.
Aber nicht nur das. Denn gerade die Landesanstalt investierte viel Zeit und Geld, um detaillierte Bodenforschung zu betreiben. Das erste Mal begriff man, auf welchem Schatz man saß. Nämlich die anfangs erwähnte Trias in Form von Buntsandstein, Muschelkalk und Keuper. Diese drei höchst unterschiedlichen Böden verleihen den Weinen sehr individuelle Charaktereigenschaften. Vor allem, wenn man Terroir-Trauben wie Silvaner oder Riesling auf ihnen pflanzt. Ergänzt wird die Trias durch Kristallin. Einem Boden, der sogar noch einen Tick älter ist. Werfen wir mal einen Blick auf die einzelnen Arten und ihre Besonderheiten.
Muschelkalk im Maindreieck
Das Maindreieck mit Würzburg in der Mitte ist das Zentrum des fränkischen Weinbaus. Hier dominiert Muschelkalk den Boden. Das Besondere: dieser Muschelkalk ist dem Kimmeridgium sehr ähnlich. Eine Bodenart, die man vor allem im Chablis im Burgund oder in Sancerre an der Loire findet. In den Top-Lagen wie dem Würzburger Stein oder dem Eschendorfer Lump wird meist Silvaner angebaut, der hier eine rassige Eleganz entwickelt und mit ausgeprägten Honignoten glänzt.Keuper im Steigerwald
Im Steigerwald mit dem Örtchen Iphofen im Zentrum dominiert Keuper. Dieser schwere Boden sorgt für körperreiche und wuchtige Weine. Silvaner, die auf diesem Boden entstehen, brillieren durch ihre üppige gelbfruchtige Note und einer faszinierend komplexen Kräuterwürze. Das macht sie dann übrigens fernab vom kulinarischen Lieblingspartner Spargel zu einem idealen Speisenbegleiter. Solch ein Silvaner kann man zum Grillen ebenso genießen wie zu einem Raclette. Ja, dank der Würze macht er sogar bei Tapas oder Antipasti eine tolle Figur!Buntsandstein am Mittelmain
Zwischen Klingenburg und Wertheim findet man am Mittelmain einen vom Buntsandstein geprägten Boden. Hier regiert dann ausnahmsweise mal nicht Silvaner. Diese Rebsorte findet man zwar auch, aber der eigentliche Star ist Spätburgunder. Denn Buntsandstein bringt würzig-weiche Rotweine hervor, die mit ihrer filigranen Komplexität einen Vergleich mit Gewächsen aus Baden oder dem Ahr-Tal nicht zu scheuen brauchen.Kristallin im Norden Frankens
Rund um Aschaffenburg trifft man auf eine kleine Besonderheit in Franken. Nämlich den Urgesteinsboden Kristallin. Dieser sorgt für zarte aber dennoch extraktreiche Weine. Vereinzelt wird Silvaner angebaut. Zur Höchstform läuft auf diesem Boden allerdings Riesling auf. Lange Zeit scheute man sich in Franken, diese Rebsorte anzubauen. Schlicht aus dem Grund, weil sie nicht zuverlässig ausreifte. Zeiten und Klima ändern sich allerdings. 1996 war der bis dato letzte Jahrgang mit unreifen Riesling-Trauben. Die Folge: Riesling ist in Franken auf dem Vormarsch. Überholen wird sie Silvaner allerdings nie. Denn dafür prägt Silvaner die Weinidentität der Region ein zu sehr.Rebsorten-Vielfalt in Franken
Dabei war Silvaner in den vergangenen Jahrzehnten eigentlich gar nicht der große Star im Frankenland. Auch wenn keine andere Traube sonst dank Bocksbeutel und Großen Gewächsen so sehr für die Region steht. Tatsächlich dominierte lange Zeit aber die Rebsorte Müller-Thurgau. Erst 2019 wurde sie von Silvaner überholt! Und das auch nur knapp. Momentan sind auf 24,8 Prozent der Rebflächen Silvaner gepflanzt. Müller-Thurgau liegt mit 24,3 Prozent direkt dahinter!
Weit abgeschlagen findet man mit 12,3 Prozent Bacchus auf dem dritten Platz. Bacchus ist übrigens so etwas wie eine Spezialität in Franken, die vor allem gerne in der lieblichen Version in den zahlreichen Wirtshäusern der Region angeboten wird. Auf der weißen Seite ergänzen dann Riesling, Scheurebe und Rieslaner (eine Kreuzung von Riesling und Silvaner) den Rebsortenspiegel. Sage und schreibe 82 Prozent aller Flächen sind mit weißen Trauben bestockt. Da sind die Spätburgunder also noch eine echte Rarität! Flankiert wird die Rebsorte übrigens von den roten Genossen Domina, Portugieser und Regent. Für das Renommee der Region spielen diese aber zugegebenermaßen keine Rolle. Sie werden eher regional genossen.
Fränkisch trocken und weitere Traditionen
Apropos Regionalität: Kein anderes deutsches Weinanbaugebiet hat eine derart hohe Dichte an direkt vermarktenden Weingütern wie Franken! Zu den 650 Weingütern gesellen sich nämlich noch 2.900 Winzerfamilien, die sich auf drei Genossenschaften verteilen. Letzteren ist es übrigens zu verdanken, dass Müller-Thurgau noch eine derart starke Präsenz hat, während die Weingüter tatsächlich immer weniger davon anpflanzen und dafür lieber das Terroir in Rebsorten wie Silvaner und Riesling herauskitzeln. Was sie allerdings eint: in Franken sind die Weine zu 90 Prozent trocken. Und zwar mit weniger als vier Gramm Restzucker sogar enorm trocken. Das hat im Laufe der Jahre zu dem geflügelten Begriff "fränkisch trocken" geführt. Als kleine Anekdote am Rande.
Dieser geringe Restzucker hat in Franken übrigens genauso Tradition wie der Ausbau in Edelstahltanks. In kleine Barriques zwängt man Silvaner und Co. indes höchst selten, um den jeweiligen Terroir-Charakter nicht mit Holznoten zu überdecken. Wenn, dann kommen eher große und gebrauchte Holzfässer zum Einsatz, die für einen zarten Schmelz im Wein sorgen. In Franken wird in letzter Zeit allerdings mit einem verlängerten Hefelager experimentiert, um gerade den Weißweinen noch mehr Rückgrat zu verleihen. Und gerade junge Winzer vergären Silvaner inzwischen auch gerne mal auf der Maische. Stichwort Orange Wine.
Frankens Zukunft ist grün
So existiert im Frankenland also nicht mehr ausschließlich Tradition, sondern auch Innovation. Diese findet man übrigens auch in den Weinbergen. Derzeit sind fünf Prozent aller Betriebe bio-zertifiziert. Auch das ist ein Rekord, den keines der anderen zwölf deutschen Weinanbaugebiete bis jetzt geknackt hat. Schaut man sich die Region einmal genauer an, dann ist sie plötzlich gar nicht mehr so trutschig und bieder, wie anfangs gedacht.Wenn Sie übrigens mal in Franken Urlaub machen sollten, dann lassen Sie sich bitte eines der 300 jährlich stattfindenden Weinfeste nicht entgehen. Hier lernen Sie die Region von seiner herzlichsten Seite kennen. Auch lohnt es sich, einen der fünf Wanderwege mit dem Namen "Boden & Wein" zu machen. Danach ist der Unterschied zwischen Keuper, Muschelkalk und Buntsandstein keine bloße Theorie mehr. Wobei man die Unterschiede der Trias-Böden auch ganz wunderbar entspannt von zuhause aus im Glas probieren kann. Sie sehen: Franken lohnt sich allemal!