Grauburgunder: Rebsorte mit vielen Gesichtern

Pinot Grigio, Pinot Gris oder Ruländer. Die Namen für Grauburgunder sind ebenso vielfältig wie die unterschiedlichen Stile. Wir gehen auf Spurensuche, warum die weiße Rebsorte so facettenreich ist.
Grauburgunder ist schon eine recht merkwürdige Rebsorte. Nicht nur, dass sie unter erstaunlich vielen Namen überall auf der Welt firmiert. Nein, sie sieht auch noch der roten Pinot Noir zum Verwechseln ähnlich. Die Blätter sind beinahe identisch. Da liegt die Vermutung quasi auf der Hand, dass die beiden miteinander verwandt sind. Und in der Tat: Grauburgunder ist eine Mutation der Pinot Noir. Wie übrigens auch Weißburgunder oder Chardonnay. Im Unterschied zu den beiden eindeutig weißen Rebsorten, könnte man reife Grauburgunder-Trauben aber fast schon für die rote Pinot Noir halten. Denn die Beerenschalen changieren von grau (daher auch der Name) bis zu einem rötlichen Braun. Und weil der Most beim Pressen der Trauben mit vielen Farbstoffen der Schale in Berührung kommt, schimmert er oft orange.
Von einem typischen Weißwein ist das weit entfernt. Trotzdem ist Grauburgunder einer. Neben der Einordnung bei den weißen Trauben gibt es noch ein paar andere Unterschiede zur Pinot Noir. Beide Rebsorten treiben zwar früh aus, aber Grauburgunder ist wesentlich robuster, bildet weniger Weinsäure, kann dafür aber mit kräftigeren Aromen aufwarten. Wobei diese - je nach Weinbereitung und Stilistik - stark variieren können. Schauen wir uns das mal genauer an.

Frankreich und der Pinot Gris
Ihre Ursprünge hat die Rebsorte im Burgund. Im frühen Mittelalter mutierten dort die Knospen einer Pinot Noir-Rebe. Es war die Geburtsstunde des Pinot Gris, wie Grauburgunder offiziell heißt. Ausgerechnet im Burgund hat Grauburgunder aber nie richtig Fuß fassen können. Inzwischen gibt es dort nur noch sporadische Restbestände. Bei denen kommt dann auch schon einer der zahlreichen weiteren Sorten-Namen hinzu. Denn in der Bourgogne heißt Pinot Gris Pinot Beurot. In der Champagne nennt man sie Formentot. Und in Savoyen sowie im Loire-Tal Malvoisie.

Besonders geschätzt wird übrigens der Elsässer Süßwein Sélection de grains nobles, der, wie es der Name verrät, nur aus einer der vier edlen Rebsorten bereitet werden darf. Für diese Edelbeerenauslese ist ein derart hoher Mindestzuckergehalt vorgeschrieben, dass dieser nur mit Trauben erreicht werden kann, die die berühmte Edelfäule namens Botrytis vorweisen. Da die einzelnen Weinbeeren einer Grauburgunder-Traube besonders eng beieinander liegen, kann sich Botrytis dort sehr gut bilden, weil keine zirkulierende Luft in die Zwischenräume kommt, die die Beeren nach dem feuchten Morgennebel wieder trocknen würde.
Italien und der Pinot Grigio
Das Kontrastprogramm zu den opulenten Pinot Gris aus dem Elsass findet man in Italien. Hier wird die Rebsorte Pinot Grigio genannt. Zwar kommen aus Südtirol und Friaul-Julisch Venetien im Norden Italiens auch üppige Grauburgunder-Versionen, die mit einem vollen Körper und saftigen Noten von Pfirsich und exotischen Früchten glänzen. Im Flachland von Venetien entstehen allerdings eher leichtere Varianten. Sie haben einen schlanken Körper, eine relativ hohe Weinsäure und gefällige Nuancen von Zitrus und grünen Früchten. Die Stilistiken können also variieren. Und das ist nicht nur von der Ausbaumethode des Winzers (die meisten nutzen für die temperaturkontrollierte Vinifikation ausschließlich Edelstahltanks, um die frische Fruchtigkeit zu bewahren) abhängig. Sondern auch von dem Grauburgunder-Klon, der gepflanzt wurde.
In den alpinen Regionen Norditaliens findet man hauptsächlich einen Klon mit kleinen Weinbeeren. Sie kennen das von allen anderen Früchten: je kleiner, desto intensiver der Geschmack, wenn sie voll ausgereift sind. Im Flachland von Venetien hingegen dominiert ein Klon mit großen Beeren, die sehr viel Fruchtfleisch haben. Kommen dann auch noch hohe Erträge und eine frühe Lese hinzu, wird aus Pinot Grigio eine nichtssagende Massenware. Genau diese sehr leichte und unkomplizierte Stilistik war aber vor allem im Deutschland der 1980er-Jahre extrem beliebt. Man trank italienischen Pinot Grigio eisgekühlt im Sommer und erfreute sich des Lebens. Er war mehr Lebensgefühl als Weingenuss. Dank seiner eher schlichten Qualitäten geriet er dann bei Weinliebhabern zusehends in Verruf. Was aber nichts daran änderte, dass auch deutsche Winzer der Rebsorte Beachtung schenkten, dabei allerdings nicht auf Masse setzten.
Deutschland und der Grauburgunder
Sind in Italien heute etwa 19.000 Hektar mit Pinot Grigio bestockt, findet man in Deutschland gerade einmal 7.000 Hektar Grauburgunder. An der Spitze steht Baden mit 2.200 Hektar. Mit großem Abstand folgt dann die Pfalz, wo die Rebsorte auf 1.800 Hektar angebaut wird. Dass Baden derart die Nase vorn hat, ist nicht weiter verwunderlich. Schließlich handelt es sich um die wärmste Weinregion Deutschlands. Und Wärme mag Grauburgunder sehr, um eine intensive Aromatik zu entwickeln. Die Rebsorte hatte hierzulande allerdings lange Zeit mit einem Image-Problem zu kämpfen. Nicht nur aufgrund der schlichten Pinot Grigio aus Italien, sondern wegen seiner Ruländer-Vergangenheit.
Womit wir bei noch einem Synonym für Grauburgunder wären, das in Deutschland eine sehr lange Tradition hat. Und das auf den Pfälzer Kaufmann Johann Ruland zurückgeht. Dieser fand im Jahr 1711 eine ihm unbekannte Rebsorte in einem Garten. Aus reiner Neugierde vermehrte er den Rebstock und kelterte die ersten Weine daraus. Es war die Geburtsstunde des Ruländers, der inzwischen allerdings auch Grauburgunder heißt. Trotzdem gibt es den Ruländer aber noch als Wein. Sein Stil ist sehr üppig und fast schon feurig. Und nicht selten restsüß. Genau das unterscheidet ihn dann aber von dem Grauburgunder, den man in Deutschland viel öfter ins Glas bekommt. Dieser ist meist trocken ausgebaut, hat viel Substanz und besticht durch satte exotische Aromen und Nuancen von Pfirsich und gelbem Apfel, bleibt dabei aber immer vollmundig-elegant.
Grauburgunder und der Rest der Welt
Aufgrund der enormen Beliebtheit der Rebsorte könnte man meinen, dass sie auch international ein großer Star ist. Das ist aber tatsächlich nicht der Fall. Zwar gibt es auch Rebflächen in Österreich, Ungarn und Rumänien sowie in den Vereinigten Staaten und Neuseeland. Aber weltweit betrachtet kommt Grauburgunder gerade einmal auf 50.000 Hektar. Nur so als Vergleich: die Schwester-Rebe Chardonnay gedeiht rund um den Globus auf über 200.000 Hektar. Das ist schon eine andere Nummer.
Welcher Stil wo auf der Welt erzeugt wird, lässt sich übrigens ganz einfach am Namen erkennen. International haben sich nämlich nur zwei davon durchgesetzt. Steht auf dem Etikett Pinot Grigio, dann können Sie einen leichteren und gefälligeren Wein erwarten. Heißt der Grauburgunder stattdessen Pinot Gris, dann geht es im Glas komplexer und üppiger zu. Diese Unterscheidung hat sich inzwischen derart etabliert, dass selbst deutsche Winzer immer häufiger von dem Namen Grauburgunder oder Grauer Burgunder lassen und lieber einen der beiden Synonyme für ihren Wein verwenden, um so direkt klarzumachen, welchen Stil sie auf die Flasche gebracht haben. Das ist durchaus praktisch. Vor allem, wenn der Grauburgunder zum Essen gereicht wird. Kommen wir also zur kulinarischen Seite der Rebsorte.
Idealer Speisenbegleiter: Grauburgunder
Nach dem großen Hype rund um den Pinot Grigio in den 1980er-Jahren wurde Grauburgunder um die Jahrtausendwende in Deutschland eher abfällig betrachtet. Eben weil man mit der Rebsorte beliebige Massenweine assoziierte. Nicht zuletzt der Qualitätsoffensive deutscher Winzer, die hierzulande den Weg für komplexere Stilistiken ebneten, ist es zu verdanken, dass der Graue Burgunder seit ein paar Jahren eine Renaissance erlebt. Und das auch vollkommen berechtigt. Denn er ist so etwas wie eine Geheimwaffe, wenn es darum geht, Wein und Speisen miteinander zu kombinieren.Für leichte Salate, Meeresfrüchte, Fisch aller Arten, Risotto oder Geflügel eignet sich ein leichter Grauburgunder ganz hervorragend. Wenn Sie hier zu einem Pinot Grigio greifen, können Sie nichts verkehrt machen. Und treffen damit auch noch unterschiedliche Geschmäcker, falls Sie Gäste haben sollten. Selbiges gilt auch für die Version Pinot Gris. Dessen Üppigkeit harmoniert nicht nur sehr gut zu gereiften Käsesorten oder Raclette, sondern kann auch zu Lammgerichten ein Gedicht sein. Hier passt dann auch ein Großes Gewächs aus Baden perfekt. Dank der unterschiedlichen Stilistiken ist Grauburgunder ein idealer Speisenbegleiter. Doch auch solo lohnt sich die Rebsorte sehr. Vergleichen Sie doch mal einen Pinot Grigio mit einem Pinot Gris mit einem Ruländer mit einem Grauburgunder. Es ist erstaunlich, wie unterschiedlich ein und dieselbe Rebsorte daherkommen kann! Probieren Sie es einfach mal aus. Sie werden es nicht bereuen. Versprochen.