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Merlot: Eine Rebsorte wie ein Samthandschuh

Von Alltagsweinen bis hin zu Gewächsen der Luxusklasse – die gaumenschmeichelnde Merlot hat viele unterschiedliche Gesichter. Schauen wir uns die Weine aus der weltweit zweithäufigsten Rebsorte mal genauer an.

Samtweich, polarisierend, missverstanden – so könnte man die Weine aus der roten Rebsorte Merlot auf den Punkt bringen. Eindrucksvoll zeigt das der berühmteste und zugleich widersprüchlichste Weinfluch der Filmgeschichte. Denn der gibt im weiteren Verlauf der Erzählung ein vinophiles Rätsel auf. Zunächst kommen in der us-amerikanischen Tragikkomödie "Sideways" aus dem Jahr 2004 Merlot-Weine erstmal gar nicht gut weg: "Ich werde keinen einzigen Tropfen verdammten Merlot trinken", ätzt der Hauptcharakter Miles Raymond. Und trotzdem ist der perfekte Wein für ihn ein Cheval Blanc von 1961. Genau das ist eine Bordeaux-Ikone aus der Appellation Saint-Émilion, die immerhin 42 Prozent Merlot enthält. Waren die Drehbuchautoren betrunken?

Wir sehen es als ironisches Augenzwinkern unter Insidern. Damit zeigt der Film für uns die große Bandbreite von Merlot-Weinen: Ja, sie können als langweilige Discounterware über die Theke gehen, denen es an Aromen und Spannung fehlt. Und gegen die sich Miles' Affront wendet. Aber das ist weder die Schuld der Rebsorte, noch sind andere Varietäten davor gefeit. Als Kontrapunkt am anderen Ende des Qualitätsspektrums von Merlot finden Sie fruchtig-komplexe Gewächse, die zu den besten und teuersten Weinen der Welt gehören. Stichwort Cheval Blanc 1961, den Sie ab 1.420 Euro bekommen. Aber auch reinsortig ausgebaut kann Merlot zur Höchstform auflaufen: Für eine weitere Legende aus dem Bordeaux, den üppig-runden Château Pétrus, müssen Sie nämlich noch tiefer in die Tasche greifen. Ab 1.990 Euro können Sie diesen Spitzen-Wein aus dem Bordelaiser Pomerol erwerben. Sie sehen: Merlot hat das Zeug zu großartigen, magischen Weinen. 

Sommelier gießt Rotwein in ein Glas ein
In vielen großen Rotweinen werden Sie auch Merlot finden.

Merlot in der Bordeaux-Cuvée

Bleiben wir bei den Gewächsen der beiden Häuser Pétrus und Cheval Blanc. Beide Châteaux liegen nur einen Katzensprung von fünf Kilometern voneinander entfernt. In ihren Weinen behandeln sie die Rebsorte dabei ganz unterschiedlich: Pétrus baut Merlot reinsortig aus. Hingegen sehen wir sie bei Cheval Blanc in einer Cuvée mit einer anderen roten Rebsorte. Hier gehen Cabernet Franc und Merlot eine genussvolle Liaison ein. Noch häufiger als mit dieser verschneidet man Merlot aber mit dem internationalen Rebsortenstar Cabernet Sauvignon. Dieser thront mit 310.000 Hektar weltweiter Rebfläche auf Platz eins. Merlot ist dem Champion mit 266.000 Hektar auf den Fersen. Beide zusammen bilden so etwas wie die DNA von Bordeaux-Weinen. Denn sie sind in der Bordeaux-Cuvée wortwörtlich miteinander verbunden. Reinsortig ausgebaut findet man die beiden hier eher selten.

Rotwein wird aus einer Weinflasche in ein Weinglas eingegossen

Sie sind aber auch ein ideales Team: was die eine Rebsorte nicht mitbringt, ergänzt die andere! Die Superkräfte von Merlot liegen in ihrer Fruchtigkeit und Samtigkeit. Ihre Weine duften nach dunkler Pflaume, Brombeere und reifer Schwarzkirsche, im Holz ausgebaut kommen noch Schokoladen- und Gewürznoten hinzu. Am Gaumen geben sie sich mit ihren sanften Tanninen seidenweich. Denn im Vergleich zur Rebsorte Cabernet Sauvignon sind die Traubenschalen von Merlot dünner und bringen so weniger Farb- und Gerbstoff in den Wein. Hingegen versorgt das Tannin-Paket Cabernet Sauvignon Weine mit ordentlich Power, Farbe und Struktur. Clever, beide zu kombinieren! Auch Cabernet Franc, Petit Verdot, Malbec und Carménère finden so - meist in geringer Dosierung - ihren Weg in unverwechselbare, lagerfähige Gewächse, um die man das Bordeaux beneidet. Weswegen sich dieses Modell auch in anderen Weinregionen findet.

Merlot in Frankreich

Etwa im südfranzösischen Languedoc-Roussillon, wo die Merlot-Trauben in der mediterranen Wärme meist schnell ausreifen. Hier entstehen unkomplizierte Tafelweine, die für den baldigen Genuss in geselliger Runde bestimmt sind. Cuvéepartner sind in der Regel die roten Sorten Grenache, Malbec, Syrah und Cabernet Franc. Diese Weine sind auch hervorragende Essensbegleiter zum würzigen Cassoulet, einem Eintopf aus der Region mit weißen Bohnen und verschiedenen Fleischsorten wie Schwein, Lamm, Ente oder Gans, der traditionell in einer Keramikschale serviert wird.

Eine Besonderheit ist die kleine Appellation Limoux auf den Ausläufern der Pyrenäen. Die ist ja vor allem für ihre fein perlenden Crémants berühmt. Seit 2011 sind aber auch Rotweine erlaubt! Und die müssen zu mindestens 45 Prozent aus Merlot bestehen, ergänzt um die gerade genannten roten Rebsorten. Die Höhenlagen von 200 bis 400 Metern sorgen hier dafür, dass Merlot behutsam ausreift und eine erfrischende Weinsäure mitbringt. Der größte Teil der französischen Merlot-Flächen von 108.000 Hektar liegt aber nicht im Languedoc. Mit 64 Prozent ist das Epizentrum im Bordeaux. Denn hier erreicht die Rebsorte nun mal ihre volle Strahlkraft. 

Anbaubedingungen und Merkmale von Merlot

Das Klima an der Atlantikküste in Bordeaux ist maritim. Das heißt neben viel Regen auch oft Frost im Frühjahr. Gut, dass Merlot und Cabernet Sauvignon unterschiedliche Wachstumsphasen haben! Salopp formuliert ist Merlot der Schnellstarter von beiden. Sie blüht und reift etwa zwei Wochen früher als Cabernet Sauvignon. Im Frühjahr hat sie dadurch Nachteile, weil Frost die zarten Blüten zerstören kann. Das gleicht sie dafür im Herbst aus. Denn durch ihre frühe Reife entgehen die Beeren im Herbst nassen Regentagen, die schon mal ihre dünnen Schalen aufplatzen lassen.

Merlot-Beeren in geflochtenem Korb
Sind zwei Wochen früher reif als die von Cabernet Sauvignon: Merlot-Trauben.

Die frühe Reife hat Merlot übrigens von ihrer Mutter geerbt, der Magdeleine Noire des Charentes - eine uralte Sorte, die man erst 1999 in der Bretagne wiederentdeckt hat. Von ihrem Vater Cabernet Franc kommen die Farbstoffe in den Schalen, die Merlot die charakteristische blauschwarze Farbe schenken. Denn auch wenn sie es in dieser Hinsicht nicht mit Cabernet Sauvignon aufnehmen kann, ist sie bei Weitem nicht so hell wie etwa die rote Gamay aus dem Beaujolais

Auch bei den Böden sind Merlot und Cabernet Sauvignon überaus eingespielt. Merlot brilliert da, wo es Cabernet Sauvignon zu nass ist. Auf kühlem und feuchtem Untergrund wie Ton-, Lehm- und Kalksteinböden. Denn diese speichern Wasser, womit sie perfekt sind für Merlot, die keine Trockenheit verträgt. Bordeaux selbst ist dafür das anschaulichste Beispiel. Links des Flusses Gironde wachsen auf den trockenen Kiesböden vor allem Cabernet-Sauvignon-Reben. Rechts der Gironde hingegen dominiert ton-, lehm- und kalksteinhaltiger Untergrund - und damit Merlot. Genau hier ist die Heimat der beiden Ikonen von Cheval Blanc und Pétrus. Einen Nachteil haben diese fruchtbaren Bodentypen aber für Merlot. Sie lassen die wuchsstarke Reben schon mal ins Kraut schießen und Beeren mit flacher Aromatik heranwachsen. Für hochwertige Qualitäten begrenzen Winzer daher den Ertrag. 

Italiens Antwort auf Bordeaux

Panorama-Landschaft im toskanischen Bolgheri
In Italien war Merlot Teil einer kleinen Weinrevolution.

Im Bordeaux heißt es, dass die besten Reben das Wasser sehen. Dass dieser Satz auch in Italien wahr ist, haben Winzer in den 1980er-Jahren mit Bravour bewiesen. Da war in der Toskana bereits eine kleine Revolution im Gang. Erneuerer suchten den Anschluss an den internationalen State-of-the-Art. Mission Bordelaiser Finesse anstelle langweilig gewordener Chianti-Classico-Weine. Schluss mit Sangiovese aus Bastflaschen! Daher bepflanzte man die Weinberge im küstennahen Bolgheri mit internationalen Sorten wie Cabernet Sauvignon, Cabernet Franc und eben auch Merlot.

Im Bolgheri bestockte man Anfang der 1980er-Jahre einen kleinen Hügel mit Meeresblick. Richtig geraten, man pflanzte Cabernet Sauvignon und Merlot. Beide sollten komplett in den Supertuscan 'Ornellaia' wandern. Es kam aber ein bisschen anders. Denn der Lehmboden und das mediterrane Klima mit kühlendem Wind erinnerten nicht nur ans Bordeaux, sie entpuppten sich auch als perfektes Terroir für Merlot. Als der Önologe die reifen Beeren verkostete, war er wie vom Donner gerührt. Das war außergewöhnlich gut. Er behielt also einen Teil zurück und kreierte einen weiteren Supertuscan: den 'Masseto', den ersten reinsortigen Merlot. Weil er so dicht und eindrucksvoll fruchtig-würzig ist, nennt man ihn auch ehrfürchtig Italiens Pétrus! 

Toskana Wein-Magazin

Außerhalb der Toskana wird Merlot hauptsächlich im Norden des Landes angebaut. Vor allem in den wärmeren Zonen von Venetien, der Lombardei und Friaul-Julisch Venetien ist die Rebsorte begehrt, weil sie mit ihrem moderaten Weinsäure-Level eine Alternative zu den autochthonen Sorten wie der roten Corvina ist, deren Weine mitunter sehr säurereich geraten. Wiederum finden sich im eigentlich heißen Sizilien auch kühlere Rebflächen, auf denen sich die Rebsorte pudelwohl fühlt. Insgesamt waren 2016 24.000 Hektar mit ihr bestockt. Damit ist man etwa gleichauf mit den Vereinigten Staaten

Merlot in den Vereinigten Staaten

Eine Schüssel Boeuf bourguignon mit einem Glas Rotwein und Gemüse
Französisches Essen und Rotwein: 1991 zog man in den USA daraus interessante Schlüsse.

Dort wächst Merlot heute auf 21.000 Hektar. Zum Vergleich: die meistangebaute Sorte in den USA, Cabernet Sauvignon, belegt mit 41.000 Hektar doppelt so viel. Aber Merlot hat einen rasanten Aufstieg hinter sich. Denn in den 1990er-Jahren gab es lediglich 3.300 Hektar! Was war in der Zwischenzeit bloß passiert? Dazu springen wir ins Jahr 1991. Damals enthüllten die Moderatoren in der Fernseh-Sendung "60 Minuten" ein Phänomen, das sie "Französisches Paradox" nannten. Sie fragten provozierend: "Wenn die Franzosen nur Käse, Brot und Zigaretten konsumieren, warum schlagen ihre Herzen dann noch?" Die TV-Detektive schlussfolgerten, dass es nur am Rotwein liegen konnte. Das löste einiges aus. 

Innerhalb eines Jahres vervierfachte sich der Rotwein-Konsum. Besonders gefragt waren dabei die sanften Merlot-Weine. Denn viele der Käufer waren Wein-Neulinge, die viel Frucht und wenig Tannin bevorzugten. Die moderaten Gerbstoffe, die manche Weingenießer Merlot als zu gering vorwarfen, wurde hier zum Vorteil. Plötzlich wollte man "Cabernet Sauvignon ohne Schmerzen", wie man die Weine auch nannte. Um der hohen Nachfrage gerecht zu werden, maximierten einige Winzer den Ertrag. Das hieß dann auch maximal verwässerte Aromen. Voilà, so entstanden einige der faden Tropfen, gegen die sich Miles’ Fluch wendete. 

Merlot Kampagne Wein Magazin

Dabei hat aber auch Merlot aus den Vereinigten Staaten mehr zu bieten! Vor allem in kühleren Regionen in Kalifornien wie Sonoma und Napa Valley, aber auch in Washington State gelingen dichte Gewächse. Sie begeistern mit dunkler Frucht, Gewürz- und Schokoladenaromen und mit frischer Weinsäure. Im Spitzenbereich sind reinsortige Merlot allerdings auch hier selten. In der Regel assembliert man sie mit zehn bis fünfzehn Prozent anderer Sorten. Ganz im Stile einer Bordeaux-Cuvée, die man in den Vereinigten Staaten Meritage nennt. Scheinbar reinsortig hat Merlot in einem anderen Land für Furore gesorgt.

Chiles doppeltes Lottchen

Rotwein im Weinglas vor Anden-Kulisse
Am Fuße der Anden passierte in Chile ein folgenreicher Irrtum.

Eine genussvolle Verwechslung hat Chiles Weine international berühmt gemacht. Dazu springen wir in die Mitte des 19. Jahrhunderts. Da importierten nach Europa gereiste chilenische Winzer Reben aus Frankreich. Denn man hatte zwar bereits eigene Rebsorten, diese ergaben jedoch eher rustikale Weine. Man wollte aber finessenreichere Gewächse und dazu kaufte man französische Reben. Mit dabei waren die beiden roten Sorten Merlot und Carménère. Weil sie sich äußerlich ähnelten, pflanzte man sie kurzerhand gemeinsam im Gemischten Satz. Fortan kam es zu einer Ungenauigkeit: Es bürgerte sich für beide der Name Merlot ein. Irgendwann ging man davon aus, dass es nur eine Rebsorte sei. Und der behagte es auf den feuchten Böden im Süden des Valle Central sehr gut.

Daher ist es ziemlich wahrscheinlich, dass Merlot aus Chile immer eine Cuvée aus Carménère und Merlot war. Genau diese Weine trafen den Geschmack von vielen Menschen auf der Welt. Dass chilenischer Merlot so anders schmeckte als überall sonst, schob man lange auf das einzigartige Terroir und darauf, dass es sich um einen besondere Merlot-Klon handelte. Bis die Neugier des französischen Ampelographen Jean-Michel Boursiquot so groß wurde, dass er die Reben einer DNA-Analyse unterzog. 1994 fand er heraus, dass einige der Merlot-Rebstöcke in Wahrheit Carménère-Reben waren. Ab da trennte man die Sorten in den Weinbergen und benannte sie richtig. Bemerkenswert ist dabei, dass sich in Chile einige der ältesten, wurzelechten Merlot-Reben befinden. Denn hier ward die Reblaus nie gesehen. Mit 12.000 Hektar ist Merlot heute in Chile die zweithäufigste Rebsorte nach - richtig geraten - Cabernet Sauvignon. Mit der wird sie dann heute auch hier häufig verschnitten. 

Weltkarte, auf der die Rebfläche von Merlot zu sehen sind
Hier befinden sich die größten Rebflächen von Merlot. © Wine in Black

Merlot in der Welt

Denn die Rebsorte ist ein zauberhafter Solist, entfaltet ihre volle Strahlkraft weltweit aber in Cuvées. Sogar in China. Denn auch wenn Weine aus dem Reich der Mitte hierzulande noch ein Schattendasein fristen, sollte man sie unbedingt auf dem Schirm haben. Chinas Weinwirtschaft holt auf, unter anderem auch mit Bordeaux-Blends, die im internationalen Stil ausgebaut werden, also fruchtbetont und im neuen Holzfass. Auf 17.000 Hektar gedeiht hier bereits Merlot - mehr als in Chile. Oder in Spanien, wo man 13.000 Hektar mit ihr bestockt hat. Auch hier steuert sie als beliebter Verschnittpartner mit Tempranillo und Co. süße Fruchtigkeit und Samtheit bei. In deutschen Weinbergen ist es Merlot übrigens dank des Klimawandels häufiger zu sehen. 700 Hektar verteilen sich momentan hauptsächlich auf die Pfalz und Rheinhessen, wo sie in Blends Aromen dunkler Pflaume beisteuert.

Sie sehen, Merlot ist ein wahrer Globetrotter! Gerade deshalb lohnt es sich auch, die Rebsorte in allen Spielarten kennenzulernen. Verkosten Sie doch mal ein reinsortiges Gewächs neben einer Cuvée. Oder vergleichen Sie eine Variante, die im neuen Barriquefass lagern durfte, mit einer, die im gebrauchten Holz ausgebaut wurde. Oder wie wäre es mit einem klassischen Vergleich von Alter versus Neuer Welt? Also etwa einem Wein aus dem Saint-Émilion und einem aus Kalifornien? Diese stilistischen Unterschiede genussvoll zu entdecken, macht riesigen Spaß. Wo auch immer Sie Ihre Genussreise im Glas beginnen: wir wünschen Ihnen viel Vergnügen mit dieser facettenreichen Rebsorte!

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